"Theorie ist etwas was man nicht sieht" (Hans Blumenberg) - das hört sich mystisch an und irritiert: ist es nicht Theorie, die uns ein bewusstes, vernünftiges (begründbar und reflektiert) und kommunizierbares Denken und Schauen ermöglicht? Die wichtigen Architekten wissen, was sie tun. Sie sind Meister ihrer Zeit. Diese Lehrveranstaltung gibt eine Einführung in Architekturtheorie. Dabei werden wir uns durchwegs auch die Frage beschäftigen, "was" Theorie "kann", inwiefern sie oft eine Zumutung ist, was ihr selbst zugemutet wird, wofür sie angeklagt wird, oder was von ihr erwartet wird. Nichts bringt vielleicht heute den verwirrenden Status von Theorie schärfer auf den Punkt als Donald Trump s Schachzug im Wahlkampf vergangenen Jahres: "I love all the poorly educated!"
Wir gehen von ausgesuchten Texten aus, die im 20.Jahrhundert für die Architekturtheorie wichtig waren. Wir lesen diese Texte als Bühnenspiele, in denen für das architektonische Denken zentrale Begriffe wie Struktur, System, Element, Form, Stil, Metrik, Grösse, Proportion, Modul, Teilbarkeit, Verallgemeinerung, Spezifikation, Kriterium zur Aufführung gebracht werden. Es wird darum gehen, sich eine Vorstellung zu machen, worum es in solchen "Stücken" eigentlich geht: Was geschieht hier, was wird verhandelt, was steht auf dem Spiel? Durch solches Fragen können wir unterschiedliche Gliederungen und Organisationen dieser mächtigen Begriffe kennenlernen, ohne uns einer bestimmten Schule zu verschreiben (wie etwa Analytik, Kybernetik, Pragmatik, Konstruktivismus). Sie alle machen in vielfältiger Weise die technischen Vermögen begreifbar (rationalisieren sie), die eine Zeit charakterisieren. Sie alle formulieren damit aber auch immer eine bestimmte Haltung gegenüber dem Irrationalen (symbolisieren, beschränken diese Vermögen). Es gilt daher, jeden Text im grösseren Kontext eines Zeitgeschehens zu platzieren, so können wir uns im architektonischen Denken schulen.
Das Ziel dieser Vorlesung ist es, die Studierenden dabei zu unterstützen, mit den heute oft so inhaltsleer (jargon) und hölzern (dogmatisch) daherkommenden Worte wie "Strukturalismus" oder "Poststrukturalismus", "Modern" oder "Postmodern", "historisch", "klassisch" oder "ursprünglich" wieder lebendige Vorstellungen verbinden zu können. Was können Worte wie "Epoche", "Kanon", "Programm", "Typ", "Grammatik", "Regelwerk" leisten? Was setzen Worte wie "Systemtheorie", "Technologie" oder "Ontologie" voraus, und ebenso "Autorität", "Expertise" oder "Autorschaft"? Was sind die Versprechen von Worten wie "Dispositiv", "Faktizität" oder "Paradigma"?
Programm (Änderungen vorbehalten):
17. März Theorie, Sophistik, und Populismus
24. März Europa und Humanismus
7. April Architektur - Baukunst oder Profession?
28. April Wissenschaft und Globalisierung
5. Mai Mathemata. Struktur und Lernbarkeit
12. Mai Das Gnomon (Sonnenuhr) und die Artikulation. Form und Poetik
26. Mai Argument und Abbild, Funktion und Norm
2. Juni Rechteck und Kreis (Rationalität und Irrationalität)
16. Juni Parallelogram: System und Programm
23. Juni Code: Diskretion und Kontinuität