© Christoph Sevcnikar, Pöschko Rudolf
Materialprozesse und -eigenschaften wurden in den letzten Jahren innerhalb der Architektur als Inspirationsquelle für innovative Entwürfe wiederentdeckt. Material (oder Materie) wird dabei als komplexes System verstanden, welches multi-kausales Verhalten und Performanz aufweist. Parallel dazu werden neue Fabrikationsweisen entwickelt, welche von Materialsystemen oder auch den physikalischen Prozessen großmaßstäblicher Phänomene wie Erosion, Sedimentation oder etwa Eisschmelze inspiriert sind.
Digitale Werkzeuge verfeinern die Auflösung architektonischer Produktion und ermöglichen es in neue Maßstäbe und Bereiche einzutauchen, wie etwa das Design von Material selbst. Diese Simulationen und Modelle komplexer Systeme werden meist zuvor in anderen Disziplinen wie der Biologie entwickelt und dann in der Architektur angewandt und interpretiert. Obwohl die Simulation komplexer Systeme möglich ist, werden deren Ergebnisse oft gefroren und in statischen Modellen repräsentiert. Dennoch, die Verwendung von selbstbildenden Prozessen in Design und Fabrikation sowie das automatische Feedback zwischen Entwurf, Evaluierung, Maschine und Material bildet einen aufstrebenden Forschungszweig.
Laut des Theoretikers Mario Carpo produzieren emergenten Fabrikationsweisen aufgrund der realisierbaren Irregularität und Komplexität eine Art "Unordentlichkeit" und Uneindeutigkeit. Die aus ihnen resultierenden Strukturen können nicht mit einfachen Formeln beschrieben werden. Der Fokus verschiebt sich von der äußeren "Gestalt" oder Form hin zu einer Überartikulierung, höheren Detailliertheit und geometrischer Differenzierung, die dann für das Auge ungeordnet erscheint.
Mathias Kohler hat kürzlich die Frage in den Raum gestellt, ob diese grundlegende Neu-Konzeption von Materialisation und Ästhetik auch zu einer erneuerten kultureller Bedeutung von Architektur und einer alternativen Raumauffassung führen wird. Die Absicht dieses Entwerfens ist es in die Zukunft emergenter Entwurfs- und Fabrikationsweisen zu projizieren und sowohl erstaunliche als auch gewagte selbstformierende Räume und Strukturen zu generieren. Diese sollen demonstrieren, wie eine solche Neukonzeption von Material, Herstellungsprozess und Raum in Erscheinung und Interaktion mit dem Benutzer tritt, wie sie sich an zukünftige Ansprüchen anpassen und individuellen Sehnsüchten gerecht werden kann.
Die Teilnehmer des Kurses werden 3-dimensionale, höchst detaillierte und sublime Strukturen und Formationen zu entwerfen, die emergente performative und ästhetische Qualitäten aufweisen, und sich als zukünftige Bausysteme denken lassen. Aufgabe ist es eine individuelle Entwurfs- als auch Herstellungsmethode zu entwickeln, welche Design und Materialisierung unmittelbar verbindet und in welcher ausgewählte Parameter und selbstbildende Charakteristika "kultiviert" werden können. Der jeweilige Formierungsprozess soll dabei eine inherente Variabilität aufweisen: Greg Lynns Idee von anexakten Geometrien folgend, soll die analoge / digitale Methode es ermöglichen Resultate hervorzusagen und zu prognostizieren, jedoch nicht endgültig zu determinieren.
Im Rahmen Der LVA werden Workshops zu digitalen Simulations- und Formfindungsmethoden sowie Arduino angeboten. Vorkenntnise sind erwünscht jedoch nicht verpflichtend. Das Interrese, sich mit der Verschränkung von digitalen und analogen Methoden zu beschäftigen, wird jedoch vorausgesetzt. Studierenden, die sich über das Workshopangebot hinaus im Scripting weiter entwickeln wollen, bieten wir konzeptionelle und technische Unterstütung an.
Korrektur findet jeweils Freitag ab 10:00 statt. Angebotene Workshops finden jeweils ab 14:00 statt. Beginn ist der 9.10.2015 um 10:00 Uhr im Seminarraum von a-theory
Literatur:
all, Philip (2009). Nature's Patterns: A Tapestry in Three Parts, Oxford University Press, Oxford.
Carpo, Mario (2011). The Alphabet and the Algorithm. MIT Press, Cambridge, MA.
Casey, Reas (2010). Form and Code. A guide to computational aesthetics, Princeton Architectural Press, New York.
Gramazio, Fabio and Kohler, Matthias, (2008). Digital Materiality in Architecture, Lars Müller Publishers, Baden, Switzerland.
Gramazio Fabio and Kohler Mathias (2014).The Robotic Touch.How Robots Change Architecture. Park Books, Zurich.
Hensel, Michael and Menges, Achim, (eds.) (2006). Morpho-Ecologies, Architectural Association, London.
Hensel, Michael and Menges, Achim, et.al (eds.) (2010). Emergent Technologies and Design. Towards a biological Paradigm for Architecture, Routledge, London.
Lynn, Greg (1998). Probable Geometries
Migayrou, Frédéric and Brayer, Marie-Ange (ed.) (2013). Naturalizing Architecture. ArchiLab, FRAC Center, Orleans.
Otto, Frei (1982). Natuerliche Konstruktionen. Formen und Konstruktionen in Natur und Technik und Prozesse ihrer Entstehung. DVA, Stuttgart.
Oxman, Neri (2010), Material-based Design Computation, MIT Press, Camebridge MA.
Spybroek, Lars (2008), The Structure of Vagueness, in The Architecture of Continuity: Essays and Conversations, V2_NAI Publishers
