Die Lehrveranstaltung beschäftigt sich mit der Analyse von Formen der Beteiligung und Involvierung im Rahmen städtischer Entwicklungs- und Transformationsprozesse. Dabei wird auf räumliche Konfigurationen und ihre Veränderungen, sowie konkrete Methoden der Partizipation geschaut, aber auch auf Konzepte, die zivilgesellschaftliches Engagement, soziale Teilhabe und Recht auf Stadt in den Vordergrund rücken. Welche Akteur:innen gestalten Stadt, wie können Prozesse im Kontext von räumlichen Veränderungen begleitet werden und Menschen in die Lage versetzt werden, sich in diese einzubringen? Wie sind diese räumlichen Veränderungen und sozialen Prozesse anhand von Haus- und Grätzelbiographien ablesbar?
Im Sommersemester 2023 steht die Lehrveranstaltung unter dem Fokus „SOFT – Sanfte Stadterneuerung revisited“. Die „Sanfte Stadterneuerung“ ist in Wien in den 1970er Jahren entstanden und hat einen Paradigmenwechsel eingeleitet: statt Abriss und Neubau, welche auch auf zivilgesellschaftlichen Protest gestoßen waren, wurde ein „behutsamer“ Umgang mit den historischen Vierteln der Stadt zur programmatischen Grundlage der Wiener Stadterneuerung. Wohnhäuser sollten saniert werden – leistbar und unter Einbeziehung der Bewohner:innen, Wohnumfeld und öffentliche Räume sollten attraktiver gestaltet werden – ebenfalls mit Partizipation der Menschen im Stadtteil und mit Blick auf deren Bedürfnisse. Eine zentrale Rolle kam dabei den Gebietsbetreuungen zu, die als lokale Akteur:innen vor Ort Kommunikation und Partizipation intiierten und begleiteten. Vielfach waren es neben baulichen, auch architektonisch weniger sichtbare „softe“ Interventionen der Prozessgestaltung, die bei der Arbeit der Gebietsbetreuungen von wesentlicher Bedeutung waren.
Knapp 50 Jahre nach Beginn der „Sanften Stadterneuerung“ nehmen wir im Rahmen der Lehrveranstaltung das programmatische Konzept und seine Praxis – von seiner Entstehungsgeschichte bis heute – genauer unter die Lupe. Anhand konkreter Fallbeispiele werden verschiedene Schwerpunkte in der Entwicklung der Beteiligungsarbeit im Rahmen der Gebietsbetreuung Stadterneuerung mittels visueller und narrativer Methoden recherchiert und analysiert. Indem auch historische Beispiele der Stadterneuerung beforscht werden, kann auf deren weitere Entwicklung im Laufe der Zeit geschaut werden. „Hausbiographien“ machen die Veränderungsprozesse von historischen Wohnhäusern sichtbar, „Grätzel- oder Quartiersbiographien“ zeichnen die Entwicklung von Stadtteilen, Wohnumfeld und öffentlichen Räumen nach.
So wird der Blick auf Prozesse, Akteur*innen, räumliche Transformationen und gesetzte Interventionen der Kommunikation und Partizipation geschärft. Abschließend wird die Relevanz der analyisierten Handlungsansätze für den aktuellen Kontext und Diskurs der Wiener Stadtentwicklung diskutiert und gefragt, wie die Narrative rund um die Biographien der betrachteten Orte in die Zukunft fortgeschrieben werden könnten.
Die Lehrveranstaltung findet in Kooperation mit dem Research Center for New Social Housing (Judith M. Lehner) sowie mit dem FOB Wohnbau und Entwerfen Workshop „SOFT – Drawing Housing Biographies“ (Bernadette Krejs) mit Studierenden der Architektur statt.
Weiterführende Literatur
Alinsky, Saul D. (1999): Anleitung zum Mächtigsein. Ausgewählte Schriften. Hrsg. und aus dem Amerikan. übersetzt von Karl-Klaus Rabe. 2. Auflage. Bornheim-Merten: Lamuv-Verlag.
Arbter, Kerstin (2012): Praxisbuch Partizipation. Magistratsabteilung 18 – Stadtentwicklung und Stadtplanung. Werkstattbericht Nr. 127. Magistrat der Stadt Wien. Online: https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/partizipation/praxisbuch.html
Berger, Horst (1984): Gebietserneuerung 1974 – 1984. Das Wiener Modell. Magistratsabteilung 21 – Geschäftsgruppe Stadtentwicklung und Stadterweiterung. Magistrat der Stadt Wien.
Berger, Horst; Kail, Eva; Kirschner, Ewald (1991): Stadterneuerung in Wien. Werkstattbericht. Magistrat der Stadt Wien.
Feuerstein, Christiane; Fitz; Angelika (2009): Wann begann temporär? Frühe Stadtinterventionen und sanfte Stadterneuerung in Wien. Wien: Springer.
Glaser, Marie Antoinette (Hrsg.) (2013): Vom guten Wohnen: vier Zürcher Hausbiografien von 1915 bis zur Gegenwart. ETH Wohnforum.
Hatz, Gerhard (2019): Gentrification durch das Programm der „Sanften Stadterneuerung“. In: Kadi, Justin; Verlič, Mara (Hrsg.): Gentrifizierung in Wien. Perspektiven aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Standpunkte Nr. 27. Wien: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien. S. 55-69. Online: https://wien.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/meinestadt/Stadtpunkte_Nr.27_2019_5.pdf
Kirsch-Soriano da Silva, Katharina (2022): Transformationsprozesse in der wachsenden Stadt – zwischen Chancen und Widerständen. In: dérive N° 89.
Kirsch-Soriano da Silva, Katharina; Botzenhart, Lukas; Pointner, Karin; Habringer, Magdalena; Christoph Stoik (2022): Transformation mitgestalten. Partizipation und Kommunikation bei Nachverdichtung im Wohnquartier. Stadtteilarbeit, Caritas Wien. Online unter: https://www.caritas-stadtteilarbeit.at/stadtteilarbeit/publikationen
Kirsch-Soriano da Silva, Katharina; Stoik, Christoph (2012): Wiener Gebietsbetreuung Stadterneuerung: Quo vadis? In: dérive N° 49.
Ley, Astrid; Weitz, Ludwig (Hrsg.) (2003): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. Arbeitshilfen für Selbsthilfe und Bürgerinitiativen Nr. 30. Bonn: Verlag Stiftung Mitarbeit.
Musil, Robert; Brand, Florian; Huemer, Hannes; Köck, Petra und Wonaschütz, Maximilian (2021): Die Transformation der Wiener Gründerzeitstadt. Dynamiken am Wiener Zinshausmarkt 2007-2019. ISR Forschungsbericht 55. Wien: Verlag der ÖAW.
Links
https://archive.arch.ethz.ch/hausbiografien/narrative-methode.html
Die Leistungsbeurteilung erfolgt anhand der Präsentation der Rechercheergebnisse (Teil 1), der Erarbeitung von „Haus- oder Grätzelbiographien“ (Teil 2) sowie der Mitwirkung bei der Abschlussdiskussion (Teil 3), wobei alle drei Teile absolviert werden müssen um positiv beurteilt zu werden zu können.
Präsentation der Rechercheergebnisse (Teil 1) 40%
- Erstellen eines Research Boards
Erarbeitung von „Haus- oder Grätzelbiographien“ (Teil 2) 40%
- diagrammatische Darstellung (Zeitleiste)
- narrative Darstellung (Artikel)
Mitwirkung bei der Abschlussdiskussion 20%
- Präsentation der Ergebnisse
- Co-Organisation Veranstaltung