DOKUMENTATION EINES FREILICHTMUSEUMS: ENSEMBLE GERERSDORF
Das Thema des Wahlseminars Vergleichende Baugeschichte im Sommersemester 2022 ist die Dokumentation historischer Bauwerke des ländlichen Raums, die von ihren ursprünglichen Standorten im Umfeld der Region Südburgenland transloziert und auf dem Gelände des Freilichtmuseums Ensemble Gerersdorf zusammengefasst wurden.
Damit berührt die Thematik dieses Wahlseminars eine der zentralen Aufgaben unseres Instituts in der Lehre und Forschung: die Untersuchung und Dokumentation von Baukulturen verschiedener Zeiträume und verschiedener Regionen in Europa und im außereuropäischen Bereich.
Baukultur schafft Identitäten; Baukultur ist ein wesentlicher Aspekt der Identität einer bestimmten Epoche und einer bestimmten Region. Baukultur ist einer der wichtigsten Faktoren der Zugehörigkeit und des Selbstbewusstseins des Individuums.
Um die Bedeutung von Baukultur zu verstehen, mag eine allgemeine Begriffsbestimmung von Kultur im Duden-Lexikon Aufschluss geben, welche Kultur als die "Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen charakteristischen geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen" definiert.
Kultur - wie auch Baukultur - setzt die Existenz von Tradition voraus. Tradition ist aber keineswegs als statisches Element zu verstehen, sondern vielmehr in ihrer dynamischen Entwicklung vor dem Hintergrund ständig sich verändernder gesellschaftlicher und technologischer Faktoren zu begreifen.
Drastische Veränderungen von Gesellschaft und Technologie können allerdings zum Verschwinden bestimmter Bautypen führen, deren Funktion verlorenging. Der materielle Verlust derartiger Bautypen verursacht eine Lücke im historischen Verständnis, die nicht mehr geschlossen werden kann, falls ein Teil der betreffenden baulichen Objekte nicht erhalten und dokumentiert wird.
Das Bewusstwerden dieser Problematik hat dazu geführt, dass weltweit schützenswerte Bauwerke, deren Funktion an ihrem Standort nicht mehr besteht, transloziert werden und in Freilichtmuseen bewahrt werden. Selbstverständlich ist eine derartige museale Bewahrung lediglich eine Notlösung, erscheint jedoch als einzig möglicher Weg, historische Kontinuität der Nachwelt zu vermitteln.
Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung seit den 1950-er Jahren mit der damals einhergehenden Revolution neuer Technologien und der abrupten Veränderung sozialer Verhältnisse waren in Mitteleuropa viele tradierte Bautypen plötzlich funktionslos geworden; historische Bauwerke wurden vor allem in ländlichen Regionen bedenkenlos abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Den verantwortlichen öffentlichen Kulturämtern schien der einzige Weg zur Erhaltung des architektonischen Erbes, die verbliebenen Reste in musealen Aufstellungen zu sammeln. In Österreich entstanden renommierte Freilichtmuseen in der Steiermark, in Niederösterreich, Tirol, Salzburg, Kärnten und dem Burgenland. Eines dieser Freilichtmuseen ist das 1976 gegründete Ensemble Gerersdorf, welches heute 32 Objekte aus dem Zeitraum zwischen dem 18. Jahrhundert und dem Anfang des 20. Jahrhunderts. umfasst. Zum Großteil handelt es sich um Originalbauwerke, in einigen Fällen auch um originalgetreue Nachbauten.
Die konkrete Aufgabe im Rahmen des Wahlseminars ist eine ausführliche Dokumentation der baulichen Objekte. Die Besonderheiten der einzelnen Objekte sollen im Vergleich mit den entsprechenden regionalen Bautypen untersucht und dargestellt werden. Die dafür erforderlichen Methoden sind Bauaufnahmen durch Vermessung und Photogrammetrie der Objekte vor Ort im Freilichtmuseum, Studien von räumlichen und konstruktiven Charakteristika der einzelnen Gebäude durch Vergleiche mit entsprechenden noch existenten Bautypen in der Region Südburgenland, Literaturstudien zur Funktion und Geschichte der Bauten, sowie die Aufbereitung in detaillierten Beschreibungen, Plänen und CAD-Darstellungen.
Seminararbeit (lt. "Richtlinien zum Verfassen einer Bakkalaureats- bzw. Seminararbeit" des Instituts, abrufbar unter http://baugeschichte.tuwien.ac.at, unter den aktuellen LVs bzw. im TISS).
Richtwert für die Länge der Seminararbeit: 30.000 Zeichen
Die Seminararbeit kann zu einer theoretischen Bakkalaureatsarbeit erweitert werden (ca. 50.000 Zeichen). Voraussetzungen: Die vertiefende Ausarbeitung der Seminararbeit erfolgt im Zuge des Vertiefungsseminars (LVA 251.689). Die Vorlesung "Architekturwissenschaften" muss zusätzlich absolviert werden!