Nach positiver Absolvierung der Lehrveranstaltung sind Studierende in der Lage mit Hilfe nichtlinearer partieller Differentialgleichungen, nichtlokalen Effekten, sowie nichtkonvexen Nebenbedingungen mathematische Modellierung von Flüssigkristallen grundlegen durchzuführen. Die in der Vorlesung vorgestellten analytischen und numerischen Methoden können zur Behandlung anderer mathematischer Modelle angewendet werden (z.B. Phasenfeldmodellen oder Modellen von magnetischen Materialien).
Flüssigkristalle (auf Englisch "liquid crystals") sind Substanzen, die Eigenschaften von isotropen Flüssigkeiten und kristallinen Festkörpern zugleich aufweisen. Einerseits sind sie flüssig wie Flüssigkeiten, andererseits behalten ihre Moleküle eine Orientierungsordnung, die für Festkörpern üblichen optischen Eigenschaften auslösen. Die Erstbeschreibung eines Flüssigkristalls geht auf 1888 zurück, als der österreichische Botaniker Friedrich Reinitzer eine Flüssigkristallphase für Cholesterylbenzoat beobachtete. Heutzutage spielen Flüssigkristalle eine wesentliche Rolle für die moderne Technologie, vor allem in Flüssigkristallbildschirmen, die auf den optischen Eigenschaften von Flüssigkristallen bei Vorhandensein bzw. in Abwesenheit eines elektrischen Feldes basieren. Flüssigkristallbildschirme werden in zahlreichen Geräten verwendet, z.B. Digitaluhren, Mobiltelefonen, Taschenrechnern, Elektrohaushaltsgeräten und Fernsehern.
Physikalische Prozesse, die Flüssigkristalle einbeziehen, sind multiphysikalische Phänomene und die mathematischen Tools für deren übergreifende Verständnis kombinieren Methoden aus verschiedenen Feldern, z.B. Mechanik fester Körper, Elastizität, Topologie, partielle Differentialgleichungen, Variationsrechnung und geometrische Maßtheorie. Außerdem führte der Bedarf an zuverlässiger numerischer Software für die umfassende Simulation von Flüssigkristallsystemen zur Entwicklung und Analysis verschiedener numerischer Methoden. In dieser Vorlesung geben wir einen Überblick über die Mathematik hinter Flüssigkristallen. Die Schwerpunkte liegen hauptsächlich in den Bereichen mathematische Modellierung, Analyse und Numerik.
Themen und Schlüsselwörter:
Physikalische Hintergründe und Anwendungen von Flüssigkristallen, Klassifikation von Flüssigkristallen, molekulare vs. "continuum" Theorien, Ordnungsparameter, Defekte, Ankerbedingungen, Interaktion mit elektrischen und magnetischen Feldern. Direktortheorie von Flüssigkristallen: Oseen-Frank-Energie, Frank-Formel, Ericksen-Ungleichungen, harmonische Abbildungen. Flüssigkristallen mit variablenm Orientierungsgrad: Ericksen-Energie, Doppelmuldenpotential. Q-tensor-Theorie von Flüssigkristallen: Landau-deGennes-Energie, Uniaxialität vs. Biaxialität. Dynamische Theorien von Flüssigkristallen: Ericksen-Leslie-System, Beris-Edwards-System. Numerische Verfahren für nematische Flüssigkristallen: Finite Elemente Methode, Energieminimierung, diskrete Gradientenflüsse, strukturerhaltende Methoden, Zeitschrittverfahren für instationäre Probleme.
Abhängig von den Interessen der Studierenden, können auch weitere Themen besprochen werden.