LIVING ON PLATFORMS
Wir leben in einer Zeit von Krisen, deren Konturen durch die COVID-19-Pandemie deutlich hervorgetreten sind: Gesundheitskrisen, soziale Krisen, ökonomische Krisen, politische Krisen und nicht zuletzt auch Bildungskrisen. Immer mehr Aspekte unseres Lebens stehen im Zeichen der Krisenerfahrung. Und immer mehr Aspekte unseres Lebens sind mangels analoger Alternativen bereits von digitalen Plattformen abhängig geworden. Diese Parallelen von technologischer Reglementierung und persönlicher Einschränkung verlangen von uns nicht nur Kritik, sondern auch Gegenentwürfe, die anderen Möglichkeiten Raum geben. Sie wecken eine Erinnerung an die lange Tradition radikaler Experimente, mit denen dominante Technologien einer offenen gesellschaftlichen Nutzung zugeführt werden sollten, etwa an die freie Radiostation Radio Alice, deren Sendebetrieb in den 1970er Jahren neue Formen der politischen Kommunikation hervorgebracht hat, oder an die experimentelle psychiatrische Klinik La Borde, an der Félix Guattari wichtige Schriften zur Rolle der Institution und zu anti-autoritären und de-territorialisierten Räumen verfasst hat.
Angesichts der aktuellen Engführungen, die mit COVID-19 verbunden sind, wollen wir im Modul Visuelle Kultur den radikalen Geist dieser Experimente aufgreifen und neue Formate architektonischer Wissensproduktion erkunden. Gegenüber den um sich greifenden Disziplinierungsmaßnahmen des Krisenmanagements will das Modulprogramm ein Forum schaffen, in der eine Vielfalt an Stimmen zum Ausdruck kommen kann. Jeden Dienstagnachmittag widmen wir uns in einem virtuellen Salon (Vorträge, Gespräche, Diskussionsrunden, Filmnachmittage, etc.) einem bestimmten Aspekt des aktuellen „Plattform-Lebens“ und fragen nach den Konsequenzen dieser neuen Welt: was kommt und was verschwindet, wer profitiert und wer verliert, und was ist die Architektur des hier entstehenden Gefüges?
Bestritten werden diese Nachmittage in wechselnder Folge von allen Lehrenden des Moduls sowie von eingeladenen Gästen. Die dabei vorgestellten Themen reichen von der Tradition des Plattform-Genres in Kunst, Literatur und Film bis zur Frage, wie wichtig physische Präsenz für die Anerkennung menschlicher Grundrechte ist. Diese Themennachmittage bilden den Ausgangspunkt für wöchentlich verfasste Episoden eines „visuellen Essays“, für das unterschiedliche architekturbezogene Methoden herangezogen werden können (Skizzen, Analysen, Beschreibungen, Fotocollagen, Videoarbeiten, Modellbauten, etc.). Der Episodencharakter dieser Essays soll uns erlauben, die komplexen und oft widersprüchlichen Charakteristika des „Lebens auf Plattformen“ auszuloten und im Ergründen der Architektur dieser neuen Lebenswelten mögliche Handlungsfelder zu skizzieren.
Das dienstägliche Kernprogramm wird nach Bedarf und Möglichkeit um eine Reihe anderer Formate ergänzt: virtual hangouts, crit sessions, physische Orte für kollektives Arbeiten, und vieles mehr; Lehrende des Modulprogramms stehen zudem zur Verfügung, um die Entwicklung der Projektarbeiten zu begleiten und Feedback anzubieten; Studierende können im Laufe des Programms auch Vorschläge für weitere Plug-Ins in diese Lernstruktur machen. Ein Arbeiten in Gruppen ist möglich.
Modul-Kernfächer
Gegenwartskultur
Kunst als Architekturkonzept
Visuelle Kultur der Stadt
Angewandte Kulturtheorie
Regime des Visuellen (Abhaltung in englischer Sprache!)
Modul-Ergänzungsfächer
Architekturen des Alltags
Neue Modelle von Kultur und Kunstproduktion
Termine
DI 17.00-19.00
Online via Zoom: Links zu den einzelnen Zoom-Terminen siehe TUWEL
06.10.2020
Einführung/Introduction
Peter Mörtenböck & Helge Mooshammer
13.10.2020
Plattform Stadt
Peter Mörtenböck & Helge Mooshammer
20.10.2020
Im Spiel-Raum der Nicht-Orte
Sigrid Hauser
27.10.2020
Queering Platforms
Peter Mörtenböck & Helge Mooshammer
Diskussion mit Gästen: Uwe Bresan (AIT) und Jørg Himmelreich (Archithese)
03.11.2020
Is it really love, or is it just unpaid work? Social Reproduction Theory in conversation with Platform Urbanism
Carmen Lael Hines
10.11.2020
Form und Argument
Robert Pfaller
17.11.2020
Im Stadt-Raum des Film-Bildes
Sigrid Hauser
24.11.2020
Data Publics
Peter Mörtenböck & Helge Mooshammer
Buchpräsentation und Diskussion mit Benj Gerdes (Royal Institute of Art, Stockholm)
01.12.2020
‘Porous, penetrating, and penetrable’: Platforms as the queering of hetero-normative space(s)
Carmen Lael Hines
15.12.2020
Black Canvas Politics, Radical Re-Imaginings, and Existing on the ‘Edge’: Platforms as re-affirmed colonial practice or anti-colonial intervention
Carmen Lael Hines
12.01.2021
Spiel und Gesellschaft
Ernst Strouhal
19.01.2021
Schlußpräsentation der Projekte/Final Presentation of Projects
alle Lehrenden
Weitere Informationen zu den einzelnen LVAs auf den jeweiligen LVA-Einträgen in TISS
sowie auf https://visualculture.tuwien.ac.at
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Visuelle Kultur umfasst eine kritische Auseinandersetzung mit der Vielfalt an Formen und Praktiken, in denen Kultur entlang historischer, politischer, sozialer und ökonomischer Prozesse produziert, verhandelt und in Gebrauch genommen wird. Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Materialisierungen dieser Prozesse spannt einen Bogen von einer Kritik zeitgenössischer Ästhetik, über eine Auseinandersetzung mit neuen Denkmodellen von Visualität und Raum, zu einer experimentellen Erkundung innovativer Formen der Kulturproduktion.
Entsprechend der globalen Perspektive von Visueller Kultur wird besonderes Augenmerk auf transdisziplinäre und interuniversitäre Zusammenarbeit gelegt; in Kooperation mit den Wiener Kunstuniversitäten und Forschungspartnern an internationalen Universitäten wird im Modul Visuelle Kultur Architektur für eine Vielfalt an Raumpraxen geöffnet: die Räume globaler Ökonomie, die Räume politischer Artikulation, die Räume kultureller Mobilität und Migration, und nicht zuletzt die Räume künstlerischer und kuratorischer Praxis.