Nach positiver Absolvierung der Lehrveranstaltung sind Studierende in der Lage die Probleme und Potenziale der gebauten Umwelt zu erkennen, daraus richtungsweisende planerische Fragestellungen abzuleiten und diese Fragen durch die spezifische Ausformulierung eines konzeptuellen architektonisch, städtebaulichen Entwurfs zu beantworten. Raumproduktion soll anhand einer entwurfsorientieren Aufgabenstellung als ganzheitliche, transdisziplinäre Auseinandersetzung erfahren werden. Architektur und Städtebau sollen als kulturelle Praxis mit gesellschaftlicher Relevanz und als gestalterische Herausforderung einschließlich ihrer sozialen, ökonomischen, ökologischen und prozessualen Implikationen verstanden werden. Die Vermittlung adäquater Analyse-, Entwurfs- und Darstellungsmethoden und die Einführung in relevante Diskurse sind ein wesentlicher Teil der Lehrveranstaltung.
Ziel des Großen Entwerfens ist es zu lernen im produktiven Durcheinander der Peripherie mit der spekulativen Realität von Architektur und Städtebau zu arbeiten aber nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Friedhöfe sind mysteriös. Sie erinnern an Vergangenes und verweisen gleichzeitig auch immer auf die Zukunft. Mit Fortdauer unseres Lebens näheren wir uns ihnen mehr und mehr an. Ähnlich ergeht es unseren Städten. Die fortschreitende Ausdehnung des verbauten Stadtgebiets hat die im 19. Jahrhundert an die offenen Ränder der Städte verlegten kommunalen Friedhofsanlagen bereits wieder erreicht. Aus den ehemals peripheren Gegenden und Orten der Ruhe werden Naherholungsräume und zukünftige Zielgebiete der Stadtentwicklung. Dieses Studio beschäftigt sich mit einer dieser Gegenden und wir gehen am Beispiel des Wiener Zentralfriedhofs der Frage nach, welche alternativen Ordnungen und Konstellationen aus dieser widersprüchlichen Situation heraus entworfen werden können.
Der Zentralfriedhof wurde 1874, in Folge der aus hygienischen Gründen erfolgten Verbannung der Friedhöfe aus der dicht besiedelten Stadt, weit vor den Toren Wiens, jenseits des Linienwalls eröffnet. Man kann den Friedhof als einen der ersten Vertreter jener Infrastrukturen sehen, die als „störende“, aber für das Funktionieren der Stadt essenziell wichtige Funktion in die Peripherie ausgegliedert wurden. Eine Entwicklung die ab dem späten 19. Jahrhundert die gesamte Umgebung des Zentralfriedhofs prägen sollte. Hier vor der Stadt gab es zwar genügend Raum für die vielen Toten einer stark wachsenden Metropole, die Anlage in der Peripherie war jedoch bei den Wiener*innen von Beginn an unbeliebt. So sei das Gelände karg und schlecht erreichbar und der Weg dorthin, durch die stark transformierte und mit Infrastrukturen überbaute Heidenlandschaft, trostlos gewesen. Bis heute werden hier Infrastrukturen und Funktionen angesiedelt, die in der Stadt keinen Platz bekommen, jedoch zentrale Aufgaben für ebendiese übernehmen: Schlachtbetriebe, Hafen- und Industrieanlagen, Gasspeicher, Gleisanlagen und Rangierbahnhöfe, das größte Kraftwerk der Stadt, die Hauptkläranlage und die Hauptwerkstätte der Wiener Linien befanden bzw. befinden sich hier.
Um dieses komplexe räumliche Geflecht zu verstehen, widmen wir uns im Rahmen des Entwerfens in einer ersten Phase dem Pionier dieser verbannten städtischen Ablagerungen – dem Zentralfriedhof. Denn durch gezielt eingesetzte planerische Interventionen wurde der anfangs unbeliebte, trostlose Ort zu einem morbiden Wahrzeichen der Stadt und erfüllt heute weit mehr als die ursprüngliche Funktion als Bestattungsplatz: er ist Repräsentationsort mit einer hohen (bau-)kulturellen Bedeutung, (besungene) Sehenswürdigkeit, Naherholungsgebiet, Spazier- und Laufstrecke und bildet, als grüne Insel inmitten intensiv genutzter Felder, Glashäuser und versiegelter Territorien, eine hochwertige ökologische Nische.
Vom Zentralfriedhof richtet sich der Blick im weiteren Verlauf des Entwerfens wieder auf dessen Ränder. Unterschiedliche Fragen werden uns dazu dieses Semester über begleiteten: Welche Rückschlüsse lassen sich aus der Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Zentralfriedhofs für einen dringend notwendigen neuen Umgang mit dem Patchwork an Versorgungs-, Entsorgungs- und Logistikinfrastrukturen ableiten? Welche neuen Rollen können Friedhofsareale im periurbanen Kontext übernehmen? Auf welche Art lassen sich historisch außerhalb der Kernstädte gelegene Friedhofsanlagen in wachsende Stadtlandschaften integrieren?
Befreit von den strengen Idealbildern traditioneller, homogener Stadträume und durchgeplanter, vermarktbarer Sattelitenstädte erlaubt uns der Kontext einer noch rohen Peripherie eine ungeahnte Freiheit in unseren Überlegungen und Entwürfen. Lässt sich hier, am Rande der Stadt, aber noch nicht am Land, in diesem von Brüchen, Maßstabssprüngen und Widersprüchen geprägtem Territorium eine eigene städtebauliche Logik entwickeln?
Vier Entwurfsaufgaben
Wir arbeiten an spekulativen Entwürfen und Entwicklungsszenarien auf verschiedensten Maßstabsebenen, für ausgewählte Randbereiche zwischen dem Friedhofsareal und seiner Umgebung. Mit den Mitteln des architektonischen und städtebaulichen Entwurfs soll ein kritischer Beitrag zum Diskurs geliefert und eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Beziehung von Friedhof und Stadt erfolgen.
1. Übung: S - Objekte und Regelwerke (5.3. - 19.3.)
Artefakte /Grabstellen / Bestattungsanlagenordung / …
Entwurf und Platzierung eines Ehrengrabes für eine*n bekannte*n Vertreter*in aus Architektur und Städtebau: Wo am Zentralfriedhof sollte es liegen? Wie sollte es ausgestaltet sein? Räumliche Auseinandersetzung mit der Gesamtanlage des Zentralfriedhofs und den theoretischen/planerischen Ansätzen einer Person. Bewusste Entscheidungsfindung zu Gestaltung und Positionierung des Ehrengrabes auf Basis der Bestattungsanlagenordnung
2. Übung: XL - Flächen und Orte (19.3. - 16.4.)
Widmung / Regulierung / Eigenschaften / besondere Orte / …
3. Übung: M - Räume und Formen (16.4. - 7.5.)
Straßenräume / Stadträume / Landschaftsräume
Übereinanderlegen und interpretative Verlängerung der „geplanten“ Logik des Zentralfriedhofs und jener der Umgebung; Schaffen von Toren, Durchbrüchen, Durchwegungen usw.; Verbindungen, Barrieren, Großstrukturen, Kleinteiligkeit
4. Übung: L - Strukturen und Übergänge (7.5. - 25.6. / Workshop 27. - 28.5.)
Bebauungsstrukturen / Landschaftsstrukturen / Infrastrukturen
Aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie kommt es zur Durchführung der LVA via TUWEL Kurs, Anpassung an Hybrid-Lehrformat wird jedoch angestrebt, falls sich die Möglichkeit durch Lockerungen ergibt.
Wöchentliche Korrekturen, Zwischenpräsentationen, Teilnahme am Workshop, Endabgabe