Nach positiver Absolvierung der Lehrveranstaltung sind Studierende in der Lage, ihre laufende PHD Forschung im größeren Zusammenhang der Fachdisziplin Architekturtheorie, und im Kontext von gegenwärtigen Diskursen und Entwicklungen insbesondere in Geschichte, Philosophie, den Künsten, und der Technik zu verorten und zu reflektieren.
“... we must enrich our models of thinking which are, generally speaking, lamentably poor.”
"Fortunately, Leibniz's system is made in such a way - if we are careful - that, in a single movement, it constantly builds itself and speaks of itself, it forms itself and describes its formation, that it intertwines chiasmically, if we may use this word, its semantics and its syntax."
(Michel Serres, p. 285-6)
Im Studienjahr 23/24 wird das PHD Kolloquium "Architekturtheorie und Technikphilosophie" sich mit einem einzigen Buch beschäftigen:
Michel Serres, Le Système de Leibniz et ses modèles mathématiques: Étoiles, schémas, points (Paris: Presses Universitaires de France, 1968).
Im Kern unseres Interesses an diesem Text ist ein Verständniss von Architektonik, das primär von "mathematischem Denken" anstatt von "Geschichte" oder "Historiographie" getragen ist – eine "Architektonik" in der Tradition des Kanons der freien Künste, und in engem Dialog zum Quantenparadigma in der aktuellen Physik, zu Elektronik, Nachhaltigkeit und zyklischen Prozessen (Meteora), wie auch zur Informationstechnik. Serres' Buch zeigt, wie Denkmodelle durch mathematisches Modellieren nicht sprach-arm und Welt-fremd werden müssen, sondern reich, grosszügig, umsichtig, und inspirierend werden können. Mathematisches Denken ist eine Quelle für künstlerische Forschung - es verbindet beispielsweise Musik mit Mechanik, Optik mit Imagination, Kommunikation mit Poetik, Logik mit Codierung, Geometrie mit Kalkül, Algebra, Ingenieurswissenschaft und - vorallem - Feinsinn mit Technik-literacy.
Zu den Herausforderungen, die uns dieser Text stellt, gehört vorallem auch, wie ein breites Missverständnis das besonders vielleicht die Kunst- und Architekturdiskurse der Moderne geprägt hat, ausgeräumt und neu thematisiert werden kann: mathematisches Modellieren schafft keine ethisch neutrale Position, es entbindet uns nicht von historischer Situiertheit, und dennoch verkörpert es eine "allgemeinheit" - als eine Art unpersönlicher Denkkörper; freundliche Vorstellungen zur "agency" solcher "Denkkörper" sind heute vielleicht dringlicher notwendig denn je: latent werden uns die Themen Künstliche Intelligenz, Machine Learning, Large Language Models etc als Subtext bei der Lektüre begleiten.
Dieses Buch ist Michel Serres' frühe Doktoratsarbeit aus den 60er Jahren, bisher noch nicht in eine andere Sprache übersetzt, und es trägt wie kein anderes seiner zahlreichen Bücher den gesamten "scope" seines Lebenswerkes. Der Kurs findet im "Tamdem" mit unserem strategischen Projekt statt, diesen Text auf English zu übersetzen und in der applied virtuality Buchreihe bei Birkhäuser herauszugeben. Entsprechend werden wir unser Textverständnis diskursiv aufbauen, vertiefen und pflegen, sowohl wie auch durch und in der konkreten Übersetzungsarbeit schulen.
Textlektüre und Diskussion
Die wöchentlichen Treffen beinhalten:
- Lektüre von ca. 30 Seiten
Das Seminar wird als gemeinsame Lehrveranstaltung mit Doktoranden der ETH Zürich durchgeführt. Es kann entweder aktiv (mit 3 ECTS) oder passiv (als Zuhörer, ohne Kreditpunkte) besucht werden.
Kerntext: Michel Serres, Le Système de Leibniz et ses modèles mathématiques: Étoiles, schémas, points (Paris: Presses Universitaires de France, 1968).
Complementary reading: TBD
Vera Bühlmann, Mathematics and Information in the Philosophy of Michel Serres (Bloomsbury Academic, London 2020).
