Nach positiver Absolvierung der Lehrveranstaltung sind Studierende in der Lage, mit Texten zu arbeiten, eigenständig Konzeptideen zu entwickeln und in Form von strukturierten Diskussionen zu einem abstrakten Thema Stellung zu beziehen sowie eine Konstellation von Zitaten aus der vorgegebenen Literatur zusammenzustellen und einen Kommentar zu formulieren, der die Zitate miteinander verbindet.

 Ist es eine Enttäuschung für die Philosophie (...), wenn sie nicht in der Lage ist, unter ihren Füßen das gleiche, solide Fundament (denn die Erde, auf der sie baut, ist wirkliche Erde, und daher terrae motus) der mathematischen Vernunft zu sichern? Ist es ein schmerzlicher Verzicht, zuzugeben, dass sich ihre Aufgabe darauf beschränkt, "die Materialien für ein Wohnhaus bereitzustellen, das geräumig genug für unsere Beschäftigungen auf der Ebene der Erfahrung ist"? Im Gegenteil, die Definition dieser Grenzen ist ein Ausdruck ihrer Strenge. Sie hat im Wesentlichen mit dem Wohnen zu tun. Wohnen setzt einen definierten Horizont voraus. Man bewohnt nicht das á-peiron. Aber die Grenzen des Wohnens sind keine starren Grenzen. Sie ist die Grenze, die in dem Moment, in dem sie markiert wird, notwendigerweise über sich hinausschaut. Ihre Gestaltung selbst setzt ein Zeichen für das, was" über ihren Inhalt hinausgeht. Der Ort des Hauses ist auch das, was" seine Grenze überschreitet. Der Ort des Hauses hat immer auch mit dem Un-heim zu tun; das Haus blickt 'nach draußen'.
Massimo Cacciari, Labirinto Filosofico

Vielleicht war sich die Architektur schon immer bewusst, dass die Realität nicht deterministisch ist, dass die Dinge nicht nach einem Prinzip von Ursache und Wirkung funktionieren. Wenn wir nur an die Position eines Fensters denken, würde ein guter Architekt außerordentlich viel Zeit damit verbringen, es zu entsorgen. Das liegt daran, dass die Architektur auf die zyklische Ordnung der Jahreszeiten abgestimmt ist, aber auch auf die Wahrscheinlichkeit der meteorologischen Bedingungen. Die Idee einer universellen Architektur führt also nicht zu universellen Werken - denn Werke sind niemals universell, da sie situiert sind. Es ist eine Idee, die sowohl mit der rhythmischen Zyklizität der Natur als auch mit ihrem Nicht-Determinismus tanzt: Jedes Projekt ist die Artikulation einer Ordnung, die das Unvorhersehbare in seiner ganzen Bandbreite begrüßt. In diesem Gleichgewicht liegt die Schönheit der Architektur als "mathemata". 

Architektur ist eine Disziplin mit einer diskreten Autonomie in ihrer Rationalität und Technik und mit einer Art spezifischem und doch allgemeinem "Kommentar" zu den vielen - allen? - Sphären des menschlichen Lebens. Ob privat, öffentlich oder sakral, sie bietet den Menschen Orte zum Leben, zur Begegnung, zum Gespräch und zur Liebe. Neben diesem Angebot an Orten spekuliert die Architektur aber auch metaphysisch und mathematisch über die Ursachen der Dinge (Scamozzi 1615): Sie informiert sich selbst und ihre Formationen. In dieser Denkweise ist die Architektur letztlich eine wissenschaftliche Gewohnheit, die den Geist des Architekten bewohnt. Eine Gewohnheit, die eine Brücke zwischen abstrakter Spekulation und konkreter Erfahrung schlägt.

In diesem Kurs werden wir die Architektur aus physikalischen und poetischen (naturphilosophischen) Kategorien heraus betrachten, gemäß einer nicht-linguistischen Idee der "traduction" (Serres 1981). Wenn Architektur als Kommunikation verstanden wird, kann sie im Lichte ihres generischen und unpersönlichen Charakters artikuliert werden; eine Disziplin, die sich nicht als Ausdruck eines individuellen Willens manifestiert, sondern vielmehr als Kodifizierung eines Werks im Dienste der Öffentlichkeit: ein Werk, das sich durch öffentliche Metaphern doppelt entfaltet (Zafiris 2021). Wenn Architektur als eine Angelegenheit der natürlichen Kommunikation verstanden wird, wird die Leere zu ihrem Medium und ihrem Spektakel, und der Architekt wird zum Demiurgen, der die Besonderheit von Gebäuden kodifiziert, indem er architektonische Ideen in Artikulationen von Leere, Licht und Materie übersetzt.

Der Kurs wird durch eine Reihe von Vorlesungen entwickelt. Die Vorlesungen werden in englischer Sprache gehalten.

Donnerstag, 16:00 - 18:00 Uhr Seminarraum

ATTP, Wiedner Hauptstraße 7/2, 1. Stock

Beginn: 12. Oktober 2023

  1) 12.10.2023: Kickoff und Präsentation des Kurses
  2) 19.10.2023: Das Spektakel der Architektur: Leere, Materie, Licht
  3) 02.11.2023: Struktur
  4) 09.11.2023: System
  5) 16.11.2023: Maßstab
  6) 23.11.2023: Form
  7) 30.11.2023: Typ
  8) 07.12.2023: Raum
  9) 14.12.2023: Oberfläche
10) 21.12.2023: Geist
11) 18.01.2024: Stille
12) 25.01.2024: Abschluß

Sie besteht darin, eine Konstellation von Zitaten aus der vorgegebenen Literatur zusammenzustellen und einen Kommentar zu formulieren, der die Zitate miteinander verbindet, indem er über die im Unterricht vorgestellten abstrakten Kategorien reflektiert. Die Prüfung besteht aus zwei Hauptterminen, einem in der Mitte des Semesters, bei dem jeder Student den aktuellen Stand der Zitatsammlung und des dazugehörigen Kommentars vorstellt, und einem am Ende des Semesters mit einer für Ende Februar geplanten Abschlussarbeit.