Hilberts Hotel // daily pleasure infrastructures
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Ein Hotel mit unendlichen vielen Zimmern ist belegt.
Am Abend kommt ein zusätzlicher Gast. Die Hotelleitung macht Platz. Sie fordert den Gast in Zimmer 1 auf in Zimmer 2 umzuziehen, Gast 2 zieht in Zimmer 3, Gast 3 in Zimmer 4 und immer so weiter (n+1). Alle rücken ein Zimmer weiter - Zimmer 1 wird frei.
Am nächsten Abend kommt ein Bus mit unendlich vielen Gästen. Die Hotelleitung macht erneut Platz. Sie bittet alle Gäste in das Zimmer mit der jeweils doppelten Zimmernummer (2n) umzuziehen. Der Gast in Zimmer 1 zieht in das Zimmer mit der Nummer 2, der Gast in Zimmer 2 zieht in das Zimmer mit der Nummer 4, Gast 3 zieht in Zimmer Nummer 6, Gast 4 in 8, 5 in 10, 6 in 12, 7 in 14, 8 in 16, 9 in 18, 10 in 20, 11 in 22, 12 in 24, 13 in 26 usw. Damit werden alle Zimmer mit ungeraden Nummern frei.
Alle können einchecken. Im unendlichen Hotel sind nie Zimmer frei und doch ist immer Platz.
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Soweit so unbrauchbar - für die Architektur. Das Bild des unendlichen Hotels ist eine Illustration, ein Gedankenexperiment. Hilberts Hotel ist nur Mathematik. Wenn es da nicht diese Idee berühren würde, dass es sich eben doch FÜR ALLE ausgehen könnte. Und zwar ganz ohne zusammenrücken, sondern durch alternative Verteilung, durch Weiterrücken, durch Mobilität und Adaptivität von Mensch und vielleicht auch Haus.
Wir leben in einem Grundkonflikt: ökologische Fragen stellen sich durch die spürbaren, klimatischen Veränderungen mit Vehemenz und die CO2 Einsparungsziele rütteln unsere Branche auf. Bei manchen Dingen lässt sich Bedarf vielleicht in Frage stellen, beim Wohnen sicher nicht. Die Nachfrage im urbanen Raum ist und bleibt groß. Das Wohnen ist hart umkämpft, Wohnen ist die politischste Architektur, nirgends zeigt sich gesellschaftliche Moral besser als beim Wohnen.
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Bei Infrastrukturen handelt es sich um mehr oder minder stabile „Fließräume, in die wir uns im Bedarfsfall einklinken“, und die dem Verbinden, der Verteilung und dem Transportieren von Menschen, Gütern und Informationen dienen.
aus: Dietrich Erben. Infrastruktur, Architektur und politische Kommunikation. Eine Skizze. Arch+ 239, 2020
Hilberts Hotel ist eine Infrastruktur zum Schlafen, Essen, Schwimmen, Lesen, Machen, für bodycare, für Feste feiern und feste ausrasten. Es ist ein Gästehaus, ein Angebot zum Wohnen auf Zeit. Die Aufenthaltsdauer der Gäste jedoch ist unbestimmt oder verschieden, jedenfalls beschränkt. Hilberts Hotel kann man nicht kaufen, auch nicht ein bisschen oder ein Stückchen. Unbekannt ist des Weiteren die Größe, der Maßstab. Wir wissen nur, es ist für Viele. Wenn nicht alle, so haben doch viele Platz.
Das Wohnen temporär zu denken ist dann frei von Zynismus, wenn die Versorgungslage grundsätzlich stimmt. Das Denken in Lebensphasen und der Veränderbarkeit der Dinge beschreibt eine mobilere Gesellschaft, die Sesshaftigkeit nicht mehr braucht, um Sicherheit zu erfahren. Und was heißt überhaupt temporär? Eine Koje zum ausrasten für 10 Minuten, ein Bett für eine Nacht, ein Raum für eine Jahr oder Jahrzehnt…
Hilberts Hotel steht in Wien, könnte aber in jeder anderen Stadt auch sein. Es ist ein Prototyp. Es positioniert sich strategisch gut erschlossen, an einem Schienenstrang mit Weitblick zB, einer Wasserstraße oder anderen symbiotisch fruchtbaren Nachbarschaften in Wien. Es nascht an vorhanden Qualitäten, nutzt sie. In und um Hilberts Hotel ist gutes Klima. Die natürlichen Elemente sind ganz nah, Jahreszeiten werden erlebbar. Erscheinung, Struktur und Ausrichtung sind Resultat seiner spezifischen Lage. Hilberts Hotel könnte energetisch autark sein oder sogar mehr.
Hilberts Hotel ist jedenfalls ein urbaner Typ, hybrid im Programm. Im dichten städtischen Gewebe lässt Hilberts Hotel Raum zum Atmen. Vielleicht atmet es auch selbst. Vom Charakter: maximale Offenheit – im Kontakt mit der Welt, materialminimiert, intelligent strukturiert, ausgestattet mit ökonomischen Argumenten, aber ohne Sparzwang. Hilberts Hotel hat utopische Absichten.
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Hilberts Hotel reiht sich ein in die Serie der daily pleasure infrastructures. (previous: Alles könnte anders sein, Staycation 1:1, Staycation #2). Es sind Entwerfen, die nach neuen Programmen fragen und den etwas experimentelleren Boden suchen.
* in allen Maßstäben, * mit Humor bei ernsten Absichten, * Affinität zur Utopie, * materialoffen und experimentell, * intelligenter Ressourceneinsatz
Dieses Semester fokusiert daily pleasure infrastructures auf das Wohnen im weitesten Sinn.