Nach positiver Absolvierung der Lehrveranstaltung sind Studierende in der Lage, architektonische Lösungen in ihrer Vielschichtigkeit von räumlichen, konstruktiven, bauphysikalischen und atmosphärischen Bedingungen heraus zu entwickeln. Sie können materialbedingte Vorgaben in Beziehung mit räumlichen Prinzipien stellen und diese in technisch-konstruktiven Details und räumlich-architektonischen Prinzipien ausformulieren. Sie lernen von der Natur der Stadt.
Durch eigenständige Recherchen können die Studierenden zudem bestehende Strukturen architektonisch und planerisch erfassen und diese als Grundlage für die Entwicklung von konzeptuellen und räumlichen Lösungen nutzen. Sie können Wechselbeziehungen zwischen dem konstruktiven Detail und dem einzelnen Bauwerk, sowie dem städtebaulichen und landschaftlichen Raumkörper aufstellen und durch dokumentarische Analysen nachvollziehen.
Sie sind in der Lage, aufbauend auf den eigenen Recherchen und Konzepten, Entwurfsprojekte in Plan, Bild, Modell und Text zu erstellen, zu diskutieren und umfassend zu präsentieren.
Die Lehrveranstaltung wird bilingual auf Deutsch und Englisch abgehalten.
In seinem Radiovortrag Die Heterotopien beschreibt Michel Foucault 1966 den Friedhof als den „absolut anderen Ort“, als mythischen Ort, der der Alltäglichkeit entfremdet ist, aber entgegen der Vorstellung gedanklicher, traumartiger Utopien, einen realen, physisch und zeitlich fassbaren Raum bildet.
Nicht immer hatte der Friedhof in der westlichen Zivilisation diese Bedeutungszuschreibung. Im römischen Weltreich fanden die Bestattungen an der Peripherie der Orte, in linearen Formationen entlang der Einfahrtstrassen statt. Mit der Christianisierung in Europa begann sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche in den Dorf- und Stadtzentren der Kirchhof als geweihter Bestattungsort zu etablieren. Gläubigen konnte so eine Ruhestätte im Nahbereich ihrer verehrten Heiligen und Reliquien ermöglicht werden. Das Ritual des Begrabens war im Gegensatz zu heute keine festliche, sondern eine pragmatische Aktivität, kollektive Massengräber nicht unüblich und der Tod als Teil des dörflichen und städtischen Alltags ein allgegenwärtiges Ereignis.
Erst mit Beginn der Aufklärung kam es als hygienische Maßnahme zur Auflösung und Auslagerung von Grabstätten aus den Stadtzentren in die vorstädtische Peripherie. Es entstanden erste städtische Zentralfriedhöfe, die den Ort der Toten vom Alltag der Lebenden in der Stadt trennten. Diese landschaftlich überformten Orte waren Vorgänger der „Parkfriedhöfe“ des 20.Jhs.
Die Planung eines Stadtfriedhofs in St. Marx soll die Auslagerung des Bestattens und Gedenkens aus der Stadt und die Tabuisierung des Todes aus dem Alltag kritisch hinterfragen. Die Gebäudesetzung eines neuen multikonfessionellen Bestattungsortes in Zusammenspiel mit Funktionsräumen des städtischen Alltags soll neue Zugänge zu einer zeitgenössischen, innerstädtischen Ruhestätte öffnen.
SANKT MARXIm Zuge der durch Joseph II. veranlassten Auslagerung innerstädtischer Friedhöfe in Wien, wurde 1784 der Biedermeier-Friedhof St. Marx im Nahbereich eines Bürgerspitals direkt am Linienwall angelegt. Eine rationale Struktur der begrünten Wege und Grabstellen bestimmt dieses Entwurf.
Eingekeilt durch den Landstraßer Gürtel, eine S-Bahn-Trasse entlang des Rennweges und eine Überführung der Südosttangente, bildet der ehemals wichtige Warenverkehrspunkt heute eine städtebauliche Sondersituation. Wohn- und Freizeitanlagen treffen auf den inzwischen verwilderten und seit 1937 als denkmalgeschützte Parkanlage genutzten Friedhof.
An dieser städtebaulichen Schnittstelle zwischen dem ehemaligem Friedhof St. Marx und dem angrenzenden Wohngefüge soll die Thematik des Bestattens und Gedenkens im heutigen Kontext weitergedacht werden. Integraler Teil der Entwurfsaufgabe ist die landschaftsarchitektonische Gestaltung des Ortes, die den Friedhof als älteste innerstädtische Freifläche im Bezug zu seiner heutigen morphologischen Umgebung thematisiert.
Als Integrierter Entwurf basiert die Lehrveranstaltung auf der Auseinandersetzung mit der Architektur als zugleich räumlichem, sozialem, konstruktivem und bauphysikalisch-ökologischem Phänomen. Dabei soll als Hauptaugenmerk der Entwurf auch in Beziehung mit dem ihn umgebenden Freiraum und der bestehenden Landschaft betrachtet werden. Weiters soll an die bisherigen Entwerfen der vergangenen Semester angeschlossen und das Thema des monolithischen Bauens kritisch diskutiert werden.
Ausgehend von einer umfangreichen Bestandsanalyse wird Architektur als Prozess verstanden, der morphologisch-typologische Kontexte sowie gesellschaftliche Strukturen ergründet und transformiert. Durch die Beschäftigung mit unterschiedlichen Maßstäben, von der Stadtmorphologie, über die Komposition konkreter Baukörper, bis hin zur Materialisierung und Konstruktionsentwicklung im Detail, wird Architektur als vielschichtige Disziplin in allen Dimensionen verstanden und eingesetzt.
Die Exkursion im März wird den Besuch von antiken und zeitgenössischen Friedhöfen beinhalten. Wir werden mit mehreren etruskischen Nekropolen aus dem 8. bis 1. Jahrhundert v. Chr. beginnen. Die Nekropole spiegelte die Stadt der Lebenden wider und war oft mit Häusern, Straßen, Hausangestellten und häuslichen Gegenständen wie Kleidung, Koch- und Aufbewahrungsgeräten, Utensilien, Möbeln und Luxusgütern ausgestattet. Die Rituale, die Symbolik und die monumentale Architektur der Nekropole sollten die Rolle der Bestatteten im Jenseits wiederherstellen und dabei auch erbliche Rechte und Rollen durch spezifische Ordnungen, Symbolik, rituelle Form und kalkulierte Ausrichtung auf kosmische Phänomene etablieren. So konnten Legitimation und Autorität nicht nur über Mythos, Erzählung und Symbolik hergestellt werden - sondern auch über technisches und mathematisches Wissen, das eine monumentale materiell-formale Ordnung hervorbrachte, die im Zusammenspiel mit Sonne, Mond, Planeten und Sternen nachweisbare phänomenologische Wirkungen erzeugte. Letztlich ist das Sehen und Erleben der Glaube. Diesem Weg folgend, wird sich diese Exkursion auf die praktische Erfahrung einer Feldstudie konzentrieren. Zeichnen, Fotografieren, Filmen und Schreiben werden als Formen der Dokumentation und Untersuchung erwartet. Im Anschluss an die Exkursion sollen die Studierenden ihre räumliche Untersuchung und ihr räumliches Verständnis der frühen Vorläufer, wie sie in Beispielen des 20. und 21. Jahrhunderts umgesetzt wurden, zeigen.
Wir beginnen die Exkursion am 18.03.2022 um 13:00 in Rom. Die Reise führt uns über Pitigliano, Bologna und Piacenza bis nach Mailand, wo der gemeinsame Teil am 22.03.2022 gegen 17:00 endet. Mit der Teilnahme an der Exkursion erhalten die Studierenden ein Zeugnis für die LVA Exkursion (2 ECTS).
TERMINE UND ANWESENHEIT
Erstes Treffen zur Klärung von Fragen am 28.Februar um 11:00 zur Vorabstimmung digital per zoom
https://tuwien.zoom.us/j/99293356812?pwd=RVRseU8xcmlMSlV0L1BtSzhTam5lQT09 Meeting-ID: 992 9335 6812 Passwort: Friedhof22
Kick-Off-Veranstaltung mit anschließender Bauplatzbesichtigung am 03.März ab 11:00 Uhr.
Betreuungstermine in Kleingruppen sind grundsätzlich am Donnerstag von 09:00 bis 14:00 Uhr.
Zusätzlich sind zwei Workshop-Wochen (gruppenübergreifend) zum intensiven Arbeiten in gemeinsamer Arbeitsraumatmosphäre eingeplant, da der Austausch mit den Kolleg:innen durch gemeinsames Arbeiten vor Ort gefördert werden soll. Eine möglichst durchgehende Anwesenheit in diesen Wochen wird erwartet.
Sondertermine: Exkusion von 18.03 - 22.03.2022 nach ItalienKonzeptpräsentation am 07. und 08.April, Entwurfspräsentation am 12. und 13.Mai, Endpräsentation am 23. und 24.Juni
Detailgenaue Grundlagenerforschung der bestehenden räumlichen und gesellschaftlichen Strukturen und Prinzipien. Analysen der monolithischen Bauweise durch konstruktive, bauphysikalische, räumliche und atmosphärische Aspekte des jeweiligen Materials. Nachweis der Forschungen mittels eines durchgehend geführten Logbuchs.
Planerische, textliche und grafische Umsetzung eines darauffolgenden Konzeptes und Entwurfes in den Maßstäben 1:5000 bis 1:1. Lagepläne, Grundrisse, Schnitte, Ansichten, Fassadenschnitte, Details, räumliche Prinzipdarstellungen, Perspektiven, Modelle.