Grand Tour: Italien
In den kommenden Semestern schauen wir nach Italien, einem Land, in dem nicht nur historisch Kernthemen der Architektur und des Wohnens als Ausdruck spezifischer Lebensweisen modellgebend verhandelt und entwickelt wurden, sondern in dem momentan eine sehr interessante Verzahnung von Architektur, Urbanismus, medialem Bild des Wohnens und der Politik ihren Ausdruck findet. In Anlehnung an die Tradition der klassischen Grand Tour soll Italien kritisch bereist werden. Obwohl Italien erst seit 1861 als nationale Einheit/Identität existiert, hat sich der Begriff der Italianità in der kollektiven Vorstellungswelt weit außerhalb Italiens etabliert. Wir wollen uns diesem kulturellen Phänomen anhand von verschiedenen Medien ( Architektur, Theorie, Literatur und Film) nähern.
Die imaginierte/reale Italianità soll mittels verschiedener Maßstäbe und spezifischen Fragestellungen geprüft und hinterfragt werden. Italien soll als Forschungsgebiet dienen um Potenziale und Strategien des Wohnens in verschiedenen Kontexten zu erkennen.
Im Rahmen von Impulsvorträgen von seiten der Lehrenden werden spezifische Phänomene aufgezeigt, welche von den Studierenden aufgenommen und vertieft werden können bzw. als Impuls für andere Fragestellungen dienen können.
Anhand der Maßstäbe Haus, Dorf, Stadt und neue Territorien sollen die neuen Phänomene beleuchtet, als case studies behandelt und daraus spezifische Projekte entwickelt werden.
Es wird sich dem Thema des Wohnens forschend reflexiv genähert. Ziel ist die Darstellung und Vermittlung komplexer Zusammenhänge und die Entwicklung klarer Entwurfskonzepte. Die Architektur und ihre Werkzeuge - Plan, Zeichnung, Bild, Szenario und Text - dienen hier der Analyse der Geschichte und Gegenwart der Architektur und des Wohnens des zeitgenössischen Italiens.
Still "Aprile" / Nanni Moretti
Grand Tour: Italien
In diesem Semester wird das zeitgenössische Italien mit seinen spezifischen Phänomenen, Problemfeldern und Potentialen Ziel einer Recherche sein, die Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Konzepte, (Wohn)Typologien etc. darstellt. Stefano Boeris Suche mit Multiplicity nach den Uncertain States of Europe oder auch AMOs Palermo Atlas können als Bausteine einer größeren Frage verstanden werden, welche wir anhand verschiedener Hotspots in Italien abhandeln werden: vom „learning from Italy“ zu einem „Rethinking Italy“ im Feld des Wohnens und der Lebensweisen.
In diesem Semester geht es um recherchebasiertes Entwerfen, in dem die Studierenden in kleinen Gruppen spezifische Phänomene durchleuchten und kontextbasierend daraus jeweilige Entwurfsideen entwickeln. Die daraus entwickelte Recherche als auch die Ideenfindungen und Entwürfe sollen auch als Grundlage für die nähere Beleuchtung spezifischer Phänomene on site in Italien in den kommenden Semestern dienen.
Der große Entwurf der Gran Tour SS 2019 beinhaltet noch keine spezifische Exkursion – die Reisen zu den diversen Hot Spots des zeitgenössischen Italiens finden erst für die Entwurfsthemen des WS 2019 statt.
Zum Begriff der Grand Tour
Als Grand Tour wurde etwa ab der Zeit der Renaissance die Reise des Adels, später auch des Bürgertums jene Reise durch Mitteleuropa, Spanien vor allem aber Italien genannt, die als letzter Teil, als Abschluss der Erziehung verstanden wurde. Der Besuch einer Reihe von Städten und Landschaften sollte Wissen im Bereich der Geschichte (vor allem Antike, Mittelalter und Renaissance) vermitteln, sollte möglich machen, andere Kulturen kennenzulernen; die Reise galt der intellektuellen, sozialen und politischen Bildung und stellte zugleich einen Übergangsritus von der Jugendzeit zum Erwachsenendasein dar. Die Grand Tour fand vor allem im 18. Jahrhundert einen reichen literarischen und künstlerischen Niederschlag; den vielleicht bekanntesten Text stellt Goethes italienische Reise dar.
Waren die Grand Tour und die darauffolgenden Bildungsreisen einer privilegierten Elite vorbehalten, bildete die Reise später auch anderen eine wesentliche Grundlage der künstlerischen Auseinandersetzung.
Auch für Architektur und Planung war die Grand Tour von übergeordneter Bedeutung: Die Ausbreitung des Klassizismus über ganz Europas ist wesentlich auf die Grand Tour zurückzuführen; Schinkels Arbeit in Architektur und Städtebau etwa wäre ohne seine Italienreisen undenkbar. Und Der Einfluss von Italienaufenthalten setzt sich also auch in der Architektur fort: Der Prix de Rome, ein Stipendium mit mehrjährigem Aufenthalt in Rom galt lange als die höchste Auszeichnung für die Académie des Beaux-Arts, Rudofskys Denken war wesentlich von seinen Eindrucken in Italien geprägt, der Einfluss von Eisenmans Aufenthalten in Italien und seinen Terragni-Studien auf seine Architektur klar erkennbar.
Die Abteilung für Wohnbau und Entwerfen bedient sich der Methode der Gran Tour, um in den kommenden Jahren eine Reise zu den Bausteinen einer zeitgenössischen europäischen Identität und ihren jeweiligen Ausdrucken in der Architektur zu machen. Die Gran Tour begreift sich als Weg zur Herstellung eines kollektiven Wissenraumes, aus dem heraus spezifische Projekte entwickelt werden können. Dabei werden Recherche, Konzeptentwicklungen als auch konkrete Entwurfsaufgaben Teil eines gesamtheitlichen „Body of Knowledge“ des Wohnens.